Seltene Erkrankungen bleiben oft jahrelang unerkannt. Fortbildungen und Spezialzentren bieten hier enorme Chancen. Mehr dazu erklärt Mediziner Prof. Dr. med. Christoph Kleinschnitz in einer dreiteiligen Interviewreihe.
Rund 5 Jahre bis zur Diagnose
Foto: Biogen
Herr Prof. Kleinschnitz, wie sieht der Weg eines Patienten mit einer seltenen Erkrankung bis zur Diagnose aus?
Patienten suchen in der Regel ersten Rat bei ihren Hausärzten. Da die Symptome oft vielfältig sind und verschiedene Körperregionen betreffen, erfolgt die Überweisung zu Fachärzten – allerdings richten viele Spezialisten weitere Untersuchungen nur an ihrem eigenen Fachbereich aus. So fehlt das große ganze Bild. Ein Beispiel ist die Friedreich-Ataxie: Die einzelnen Symptome sind oft unspezifisch, daher ist die Kombination der Symptome entscheidend. Im Schnitt dauert es rund 5 Jahre bis zur Diagnose, manchmal auch deutlich länger. Spezielle Zentren für seltene Erkrankungen bieten hier Chancen, die Diagnose zu beschleunigen.
Inwiefern? Welche Rolle spielen diese Zentren bei der Diagnose?
Patienten können über ihre Hausärzte dorthin überwiesen werden. Ein Team aus unterschiedlichen Fachrichtungen prüft dann die vorliegenden Befunde. Diese umfassendere Sicht auf die Symptome kann eine schnellere Diagnose ermöglichen. Anschließend werden die Patienten an die entsprechenden Fachabteilungen, wie Neurologie oder Innere Medizin, überwiesen – entweder direkt im Zentrum oder in eine wohnortnahe Einrichtung. Dort wird die Behandlung fortgesetzt. Aber auch kleinere Kliniken und niedergelassene Ärzte können diese Zentren konsultieren – ebenso wie Patienten und ihre Familien. Hier leisten die Zentren Aufklärung über die Krankheit, bieten Schulungen sowie Informationen zu Selbsthilfegruppen und sozialmedizinischen Themen.
Im ersten Teil der Interviewreihe haben Sie erwähnt, dass für schnellere Diagnosen auch Ärzte noch besser geschult werden müssten. Welchen Stellenwert haben seltene Erkrankungen aktuell in der Ausbildung von Ärzten?
Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Im Medizinstudium werden diese Erkrankungen mittlerweile intensiver besprochen. An einigen Unikliniken gibt es – angelehnt an den auf komplizierte Diagnosen spezialisierten TV-Serienarzt – eigene „Dr. House“-Kurse, die die Diagnosekompetenz erhöhen sollen. Auch das Fortbildungsangebot für Ärzte hat deutlich zugenommen, nachdem es therapeutische Erfolge bei einigen Erkrankungen gab. Das Thema wird weiter an Bedeutung gewinnen, da sich Diagnostik und Therapie zunehmend verbessern.
Prof. Dr. med. Christoph Kleinschnitz ist Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung von neurovaskulären und neuroimmunologischen Erkrankungen, zu denen auch einige seltene Krankheiten gehören. Sein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Forschung zu Schlaganfällen und Multipler Sklerose (MS).