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Mut-Mach-Geschichte von Nele von Horsten

Veröffentlichung auf NIK e.V. Website und den Biogen-Kommunikations­kanälen

Deine erste Mut-Mach-Geschichte ist 3 Jahre her, wie hat sich dein Umgang mit der MS seit dem letzten Interview verändert?

Ich stecke nun viel tiefer im Thema drin, aufgrund meines Multiple-Sklerose-Management-Studiums, das ich im August 2022 begonnen habe. Das brachte mir schon kurze Momente der Angst, weil ich mich so ausführlich mit den Symptomen der Erkrankung beschäftige und dann manchmal überlege, ob ich nicht doch stärker betroffen bin. Auf der anderen Seite weiß ich nun sehr genau Bescheid, dass es für alle Probleme, die im Zusammenhang mit der MS auftreten können, Lösungen gibt und ich mich damit bestens auskenne. Die Angst ist in dem Fall wirklich eher ein Hypochonder-Effekt.

Es zeigt mir wie wichtig es ist, die Balance zu bewahren zwischen Information und Ablenkung. Also alles, was nicht mit MS zu tun hat in meinem Leben, tut mir gut, gerade weil meine Arbeit sich so stark auf das Thema konzentriert. Da sind Kinder natürlich perfekt.

Und ich frage jetzt noch genauer nach, wenn ich Untersuchungen habe. Denn ich will es genau wissen, da ich aus der passiven Rolle als Patientin hin zu einer noch aktiveren gewechselt bin, die alles verstehen will.

Gab es neue Herausforderungen oder Fortschritte, die du gemacht hast?

Ein paar Monate vor Eintritt meiner Schwangerschaft hatte ich begonnen wieder mehr Sport zu machen, mit dem Fokus auf Kraftsport. Klingt jetzt gewaltig, war es nicht. Ich habe mehr Übungen zur Kräftigung meiner Muskeln eingebaut. Nachdem ich zur Rehabilitation mehrere MS-Spezialisten interviewt hatte, war mir klar, dass Kraftsport zusätzliche Vorteile bringt. Davon wollte ich profitieren und es klappte tatsächlich. Ich merkte, wie meine körperliche Fitness besser wurde und meine Sensibilitätsstörung in den Zehen weniger wurde. Aber mit der Schwangerschaft und dem zunehmenden Bauchumfang musste ich das Programm zurückfahren und jetzt nach der Entbindung erst langsam wieder hochfahren.

Wie hast du dein Wissen über MS seit der Diagnose weiterentwickelt? Gibt es bestimmte Ressourcen oder Communities, die dir dabei geholfen haben?

Vor meinem Studium habe ich mich an das Kompetenznetzwerk Multiple Sklerose, die Leitlinie für Multiple Sklerose sowie die drei Dachverbände der MS-Patientenorganisationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gehalten:

  • KKNMS
  • Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose des DGN
  • DMSG
  • Multiple Sklerose Gesellschaft Wien
  • Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft

Seit dem Studium stelle ich den Experten in den Vorlesungen meine Fragen. Wenn das Thema gerade nicht passt, suche ich nach Veröffentlichungen auf PubMed oder recherchiere auf internationalen Webseiten. Falls mich ein Thema sehr interessiert oder ich es wichtig finde, darüber zu berichten, bringe ich eine Solofolge heraus oder lade mir einen Interviewgast ein

Gab es in den letzten Jahren Momente, in denen du dich besonders stark gefühlt hast im Umgang mit deiner MS? Welche Strategien haben dir in diesen Momenten geholfen?

Ein besonderes Erlebnis war es live am ECTRIMS in Mailand teilzunehmen: Dem größten MS-Kongress der Welt, bei dem über 9.000 Teilnehmer aus 110 Ländern den 240 SprecherInnen lauschten. Dort gab es neue Erkenntnisse zur Multiplen Sklerose, zu den Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten. Ich nahm gemeinsam mit anderen Studienteilnehmern teil. Die Gespräche in den Pausen waren auch sehr spannend und bereichernd. Das hat meine positive Grundstimmung weiter bestärkt. Ich bin davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren mehr Innovationen erleben werden und weitere Durchbrüche in der Grundlagenforschung zur MS. Davon profitieren am Ende wir PatientInnen.

Mir hilft im Prinzip die gleiche Strategie wie von Anbeginn: Mich auf das Positive konzentrieren und bei Bedarf zu schauen, welche Unterstützung ich nutzen kann. Deshalb mache ich meinen Podcast - und jetzt auch noch den Englischen: Um wirklich über alle neuen Erkenntnisse zügig berichten zu können und sie in die Community zu bringen, damit es nicht erst Jahre dauert, bis man davon hört und dieses Wissen für sich selbst und seine Behandlung nutzen kann.

Welche Tipps würdest du anderen Personen mit MS geben, die gerade erst mit der Diagnose konfrontiert werden?

Werde Dir über Deine Ziele klar und verfolge sie weiter. Es gibt für so ziemlich alle Hürden, Strategien diese zu überwinden. Denke weiter groß und werde lieber kreativ, wie Du Dein Ziel trotz Widrigkeiten erreichen kannst. Und wenn Du keine Einschränkungen hast, dann verschwende Deine Zeit nicht darauf, Dich jetzt damit zu beschäftigen, was wäre, wenn etwas eintritt.

Bitte bleib nicht zu lange in der Schockstarre, sondern werde aktiv. Nutze all die Stellschrauben, die es gibt. Dazu gehört für mich ein gesunder Lebenswandel mit einer ausgewogenen Ernährung, Sport, einem guten sozialen Umfeld und spannendem Job. Nutze Deine geistigen Fähigkeiten, stärke Deine emotionale Widerstandsfähigkeit, fordere Unterstützung ein, wenn Du sie brauchst und finde eine Immuntherapie, die für Dich und zu Dir passt.

Es gibt so viele Angebote, die helfen mit einer Erkrankung wie der MS zu leben. NIK e.V., die Angebote der DMSG, aMStart als innovatives Konzept für digitale Selbsthilfe oder das Patenprogramm in München am Klinikum rechts der Isar.

Ich versuche, mit meinen Podcasts ebenfalls einen Beitrag zu leisten. Mit mehr als 250 Folgen, die bereits 150.000 Mal gehört wurden, scheint mir das zu gelingen. Neben Interviews mit Experten und anderen Betroffenen gibt es Solofolgen. Dabei teile ich meine Erfahrungen, wo es passt, um Mut zu machen.

Wenn es eine gute Sache an einer chronischen Erkrankung wie MS gibt, dann die, dass sie einen dazu verleitet, sich selbst und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Erfüll Dir Deine Ziele . Unterstütze die Forschung, indem Du an Studien teilnimmst, die für Dich interessant und relevant sind. Tausche Dich mit anderen Betroffenen aus. Und bleib informiert.

Die Prognose hat sich in den letzten Jahrzehnten verbessert. MS fasziniert junge, motivierte WissenschaftlerInnen, die Pharmaindustrie engagiert sich, neue Lösungen zu finden. Private und staatliche Institutionen leisten ebenfalls ihren Beitrag. Das wird gewiss zu weiteren Verbesserungen führen. Viele Gründe, um positiv gestimmt in die Zukunft zu schauen.

Wie hat sich deine Einstellung zur MS im Laufe der Zeit verändert? Gibt es Dinge, die du jetzt anders siehst als früher?

Frisch diagnostiziert, hatte ich große Angst vor den möglichen Auswirkungen. Ich bin damals schnell dazu übergegangen, alles in meinem Einflussbereich Stehende zu tun, um der Erkrankung etwas entgegenzusetzen. Meine Reisen nach Kuba, Australien und Namibia taten mir gut,weil ich mir meine Träume erfüllt habe. Außerdem habe ich die Angst vor Hilfsmitteln verloren und sehe sie heute als das, was sie sind: Eine Unterstützung, um weiter aktiv am Leben teilzunehmen. Dennoch freue ich mich natürlich über jedes Jahr, das vergeht, in dem ich unbehelligt bleibe und die ForscherInnen und BehandlerInnen Zeit haben, neue Lösungen zu finden.

Mittlerweile bist du ja nochmal Mutter geworden: Wie hat sich deine MS-Diagnose auf deine Entscheidung ausgewirkt, Kinder zu bekommen? Gab es Bedenken oder Ängste, die du vor der Schwangerschaft hattest, und wie bist du damit umgegangen?

Ich hatte Angst, dass die MS das Kinderkriegen erschwert, was nicht der Fall ist, wie Studien gezeigt haben. Aber vielleicht macht man sich noch mehr Gedanken, was das Unbeschwerte etwas wegnimmt. Auf jeden Fall wollte ich mich in einer stabilen Beziehung befinden. Dass es tatsächlich nochmal geklappt hat und alles unproblematisch verlief in der Schwangerschaft und mit der Entbindung war sehr schön. Ich hatte zwar viele Infekte, die mich genervt haben, aber vermutlich waren das die fiesen Kita-Keime, die unsere fünfjährige Tochter mit nach Hause gebracht hat. Außerdem hatte ich ein bisschen Angst davor, wie es mit zwei Kindern wird und ob ich dem gerecht werde.

Was soll ich sagen, bei uns herrscht ein fröhliches Familienchaos und wenn ich den Anspruch auf normal belasse und mich nicht zu sehr vergleiche, dann bin ich zufrieden mit mir. Aber ab und an halte ich mich für eine furchtbare Mutter, ich glaube, das kennen einige. Dabei klappt es eigentlich ganz gut zu viert mit Studium und Podcasts.

Wie hast du deine Schwangerschaften mit deiner MS erlebt? Gab es besondere Herausforderungen oder Ängste, die du bewältigen musstest?

Mir wurden aufgrund meines Alters, ich bin 43 Jahre alt, viele zusätzliche Untersuchungen empfohlen und da wir bereits ein gesundes Kind haben, nahm ich diese auch wahr. Denn ich wollte nicht, dass unsere große Tochter unter Einschränkungen leiden muss, falls die Gene doch nicht mehr so fit sind. Da musste ich mir immer wieder Mut zu sprechen, dass alles gut sein wird, und war natürlich sehr erleichtert, als alle Untersuchungen unauffällig blieben: Und siehe da, etwas verspätet, aber gesund und natürlich geboren, kam unsere zweite Tochter zur Welt und beglückt uns seitdem sehr. Ich habe zudem an einer Studie am MS-Zentrum Dresden zur Schwangerschaft teilgenommen sowie am Kinderwunschregister Multiple Sklerose. Denn mittlerweile weiß ich, wie kostbar solche Studienergebnisse sind und trage gern dazu bei, dass der Datensatz wächst.

Welche Strategien hast du entwickelt, um als Mutter mit MS ein Gleichgewicht zwischen der Fürsorge für deine Familie und der Fürsorge für dich selbst zu finden?

Wie bereits erwähnt, versuche ich mich nicht zu vergleichen, was mir längst nicht immer gelingt. Der Kindergeburtstag soll Spaß machen und nicht der beste sein, den je ein Kind in der Gruppe gefeiert hat. Ich bin nicht immer perfekt gestylt und manchmal eben auch ein paar Minuten zu spät zur Online-Vorlesung. Meine kleine Tochter muss manchmal eben auch kurz brüllen, weil ich mich um die Große kümmere, wenn mein Mann nicht da ist – das muss ich ertragen können. Meinen Mann versuche ich stärker einzubeziehen, indem er die Große früh zur Kita bringt und wenn ich bei meinen Eltern bin oder meine Schwester da ist, dann genieße ich, dass ich mal kurz gar kein Kind oder nur ein Kind betreuen muss.

Generell stecke ich noch an manchen Stellen zurück und habe noch Potenzial die Selbstfürsorge auszubauen, aber das ist okay. Ich bin glücklich, meine zwei großen Schätze zu haben, schließlich dachte ich vor ein paar Jahren, dass es vielleicht nichts mit dem Kinderwunsch wird. Und meine Energie reicht dafür aus. Bei wem das aber nicht so ist, bitte mehr Hilfe und Unterstützung einfordern. Es ist wie so vieles im Leben, eine individuelle Sache, wie viel Zeit man für sich braucht, um sich zu erholen und Kraft zu tanken. Eine glückliche und zufriedene Mama ist für die ganze Familie besser als eine gestresste.

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