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Seltene Krankheiten: „Klinische Forschung in Deutschland noch immer eine Herausforderung“

Die Allianz-Arena. Ausverkauft mit 75.000 Fußballfans. Und nun sollen aus dieser Menschenmenge drei bestimmte Personen gefunden werden, von denen einige nicht einmal wissen, dass sie gesucht werden. Diese Situation veranschaulicht die Herausforderung, der sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Biotech-Unternehmens Biogen gegenübersahen, als sie Probanden für klinische Studien zur Spinalen Muskelatrophie (SMA) suchten.

Allianz-Arena
© https://unsplash.com/@tama66

In Deutschland leiden 3 bis 4 Millionen Menschen an seltenen Krankheiten, doch die Forschung dazu wurde lange Zeit vernachlässigt. Oft scheute man das wirtschaftliche Risiko, in diese "verwaisten Krankheiten" zu investieren, da die Patientenzahlen pro Indikation gering waren.

Obwohl die EU-Orphan Drug-Verordnung von 2000 die Bedingungen verbesserte, „bleibt klinische Forschung in Deutschland schwierig“, so Andreas Bracher, Medical Director von Biogen. Trotz hervorragendem Gesundheitssystem, hoher Bevölkerungsdichte und exzellenter Forschung gibt es bürokratische Hürden, die den Standort beeinträchtigen.

Die Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Krankheiten wie SMA ist Grundlagenforschung. Doch hierzulande nehmen nur wenige Patienten an Studien teil, da sie oft nicht über diese informiert sind und es an Anlaufstellen fehlt. Bracher unterstreicht, wie wichtig es sei, dass Ärzte ihre Patienten auf laufende Studien hinweisen, um dieses Problem anzugehen.

Auch gelten Genehmigungsprozesse für klinische Studien in Deutschland als langwierig. Abstimmungen mit Behörden und Ethikkommissionen können sich hinziehen, da strenge Datenschutzbestimmungen eingehalten werden müssen. Dies führt zu Verzögerungen beim Studienstart, obwohl ein effektiver Datenaustausch, besonders bei seltenen Erkrankungen, entscheidend ist, um die richtigen Patienten zu finden.

So geht die Anzahl klinischer Studien in Deutschland zurück. Während 2016 die Bundesrepublik mit 641 von Pharmaunternehmen initiierten klinischen Studien noch weltweit an zweiter Stelle stand, wurden es in den Folgejahren immer weniger.

Verzögerungen entstehen auch durch aufwendige juristische Prüfungen und Vertragsverhandlungen. Wird im benachbarten Ausland meist nur ein zentraler Vertrag verhandelt, finden hierzulande neben individuellen Verhandlungen mit jedem Prüfzentrum oft noch separate Gespräche statt. Dennoch ist Bracher optimistisch: „Die aktuelle Diskussion über Musterverträge macht deutlich, dass Bemühungen zur Vereinfachung dieser Prozesse im Gange sind.“

Was bleibt, sind ethische Fragen bei der Entwicklung von Orphan-Medikamenten. Das begrenzte Wissen über die Krankheit und die neue Therapie steht im Konflikt mit dem Wunsch der Patienten nach schnellen Behandlungen, besonders bei nicht entscheidungsfähigen Kindern. Eltern müssen das Risiko einer neuen Medikamentenerprobung gegen das Risiko einer unbehandelten Krankheit abwägen. Dabei sind Patientenorganisationen entscheidende Ansprechpartner und Ratgeber.

Wie wichtig gute Rahmenbedingungen und ethische Standards für den medizinischen Fortschritt sind, wird durch eine von Biogen entwickelte SMA-Therapie deutlich. Zuvor war SMA die häufigste genetisch bedingte Todesursache bei Säuglingen. Obwohl der zugrundeliegende Gendefekt seit 22 Jahren bekannt war, wurde erst 2017 das erste Medikament in Deutschland zugelassen. Die Therapie bietet keine Heilung, hat aber die Behandlung von SMA revolutioniert: Unbehandelte Kinder mit schwerer SMA sterben üblicherweise vor dem zweiten Lebensjahr, während frühzeitig behandelte Kinder überleben und die Krankheit einen milderen Verlauf nehmen kann. Mittlerweile stehen sogar zwei weitere Therapieoptionen zur Verfügung, um den individuellen Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden.

Die Forschung zu seltenen Erkrankungen bleibt riskant, aber EU-Regelungen wie eine zehnjährige Marktexklusivität haben dazu geführt, dass heute jährlich eine zweistellige Zahl neuer Medikamente auf den Markt kommt. „Die Bürokratie muss weiter abgebaut werden, wenn der Pharmastandort Deutschland wieder Boden gutmachen soll“ so der Apell von Andreas Bracher. Nur so könne es gelingen, dass der „Forschungs- und Produktionsstandort für die Pharmabranche wieder attraktiver“ wird, wie es in der nationalen Pharmastrategie der Bundesregierung heißt.

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