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Eine späte Diagnose, die endlich Gewissheit brachte

Immer wieder erlitt Marci Knochenbrüche, fühlte sich unsicher auf den Beinen oder konnte kaum von einem Stuhl aufstehen – sie erklärte sich diese Einschränkungen jahrelang mit ihrem zunehmenden Alter, der eigenen Ungeschicklichkeit oder vorausgegangenen Verletzungen.


Erst als eine besorgte Freundin sie zu einem Arztbesuch wegen der anhaltenden gesundheitlichen Probleme drängte, erhielt sie im Alter von 51 Jahren die erschütternde Diagnose: Sie leidet an Spinaler Muskelatrophie (SMA), einer seltenen, neuromuskulären Erkrankung. Unbehandelt kann SMA je nach Schweregrad zu Muskelschwund und schweren Lähmungserscheinungen bis hin zu einer lebensbedrohlichen Insuffizienz der Atem- und Schluckmuskulatur führen.

 

Die lebensfrohe Marci hat gelernt, mit SMA zu leben

Die Ursache dieser Erkrankung ist genetisch bedingt. SMA ist eine autosomal rezessiv vererbbare Erkrankung, was bedeutet, dass ein Erkrankungsrisiko nur dann besteht, wenn das Kind zweier SMA-Träger ein mutiertes SMN1-Gen von jedem Elternteil erbt. Wenn ein Kind nur ein mutiertes SMN1-Gen erbt, wird es als „Träger“ betrachtet, entwickelt jedoch keine Symptome der spinalen Muskelatrophie.1, 2 Bei der Diagnose wurde Marci erklärt, dass ihre Eltern Träger der SMA-auslösenden Erbanlage sind, aber keine Symptome haben – genauso wie ihre Geschwister.

Die späte Diagnose war auf der einen Seite ein Schock, auf der anderen Seite brachte sie aber endlich Gewissheit für Marci, die sich ihre Muskelschwäche nie hatte erklären können. „Ich hatte oft das Gefühl, dass mir meine Beine einfach wegrutschen und konnte auch meinen geliebten Sport, wie das Reiten, Tennisspielen oder Skifahren, kaum noch ausüben“, sagt Marci rückblickend. „Aber ich dachte immer, das wären Nachwirkungen von einem zurückliegenden Beinbruch in meinen 30ern.“

Unterschiedlicher Verlauf mit irreversiblen Folgen

Bei SMA sterben durch einen Mangel an SMN-Protein (Survival Motor Neuron) bestimmte Nervenzellen des Rückenmarks – die Motoneuronen genannt werden – ab, welche die Motorik der Muskelzellen steuern. Mit dem fortschreitenden Verlust der Motoneuronen stellt sich bei den Betroffenen eine zunehmende Muskelschwäche bis hin zur irreversiblen Muskelatrophie ein – ein Leben im Rollstuhl bei völliger Bewegungsunfähigkeit droht.3, 4

Bei einer Diagnose in späteren Jahren leiden die Betroffenen meist schon jahrelang zuvor an neuromuskulären Funktionsstörungen unterschiedlichster Ausprägung, die nicht immer sofort richtig erkannt werden. 

Maha Radhakrishnan, M.D., Chief Medical Officer bei Biogen, erklärt: „Der Schweregrad der Erkrankung kann innerhalb der verschiedenen Altersstufen variieren. Einige junge Patienten weisen direkt nach der Geburt massive motorische Störungen oder Schluck- und Atemprobleme auf, andere Kinder bekommen im Alter von 6 oder 7 Jahren plötzlich Probleme beim Laufen. Wieder andere bemerken erst in ihren 20er oder 30er Jahren eine zunehmende Einschränkung ihrer muskulären Leistungsfähigkeit.“ 5

Dr. Maha Radhakrishnan, Chief Medical Officer bei Biogen, kennt sämtliche Verlaufsformen von SMA

Früherkennung schenkt Lebensqualität

Das Beispiel von Marci zeigt wie breit das Symptomspektrum der Erkrankung sein kann. Eine derart späte Diagnosestellung ist jedoch eher selten. Die motorischen Funktionseinschränkungen schreiten degenerativ voran, das heißt wenn die Motoneuronen einmal abgestorben sind, sind sie für immer verloren. Die Muskeln verkümmern schrittweise und es drohen im Verlauf massive Bewegungseinschränkungen bis hin zu lebensgefährlichen Atemlähmungen.6, 7

Umso wichtiger ist die Früherkennung, um dann mit gezielten Therapiemöglichkeiten den weiteren Verlust der Motoneuronen – wenn möglich – aufzuhalten sowie wichtige Muskelfunktionen und Muskelkraft gegebenenfalls zu erhalten. Eine wichtige Rolle spielt hier das Neugeborenen-Screening, bei dem Säuglinge direkt nach der Geburt auf SMA getestet werden.5

 

SMA – Zahlen und Screening in Deutschland

Schätzungsweise eines von 10.000 Neugeborenen kommt mit SMA auf die Welt.2 In Deutschland werden pro Jahr etwa 80 bis 120 Kinder mit der genetisch bedingten Krankheit geboren. Der Verlauf der infantilen Form der Krankheit ist in der Regel schwer und endet meistens tödlich.8 Durch eine frühzeitige Behandlung können sich die motorischen Fähigkeiten von betroffenen Kleinkindern wie etwa Sitzen, Krabbeln, Stehen oder Gehen besser entwickeln. Im Dezember 2020 hat der Gemeinsame Bundesausschuss als oberstes Beschlussgremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen beschlossen, dass das Screening auf spinale Muskelatrophie Teil der Früherkennungsuntersuchung bei Neugeborenen in Deutschland werden soll.7 Der Beschluss ist im April 2021 in Kraft getreten, das erweiterte Neugeborenenscreening wird voraussichtlich ab dem dritten Quartal 2021 angeboten.9

Die Diagnose hat Marci endlich Gewissheit gegeben, was mit ihrem Körper los ist. Das bedeutet für sie ein neues Bewusstsein und gibt ihr die Möglichkeit, mit der Krankheit besser zu leben. So hatte sie zum Beispiel bei Spaziergängen immer Angst, dass sie wieder stolpern und hinfallen könnte. Dadurch konnte sie ihre Umgebung oftmals nicht richtig genießen. „Heute bleibe ich manchmal ganz bewusst stehen, um mir die Umgebung in Ruhe anzuschauen. Die Diagnose hat mir insofern geholfen, mich besser mit meiner Erkrankung zu arrangieren.“

Referenzen
  1. Sugarman EA, Nagan N, et al. Pan-ethnic carrier screening and prenatal diagnosis for spinal muscular atrophy: clinical laboratory analysis of >72,400 specimens. Eur J Hum Genet. 2012 Jan;20(1):27-32. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21811307/. Accessed August 2021.
  2. National Organization for Rare Disorders. Spinal Muscular Atrophy. 2012. Abrufbar unter https://rarediseases.org/rare-diseases/spinal-muscular-atrophy/. (letzter Zugriff: August 2021)
  3. National Institute of Neurological Disorders and Stroke, NIH. Spinal Muscular Atrophy Fact Sheet. Abrufbar unter https://www.ninds.nih.gov/Disorders/Patient-Caregiver-Education/Fact-Sheets/Spinal-Muscular-Atrophy-Fact-Sheet (letzter Zugriff: April 2021)
  4. Wadman RI, Wijngaarde CA, Stam M, et al. Muscle strength and motor function throughout life in a cross-sectional cohort of 180 patients with spinal muscular atrophy types 1c–4. Eur J Neurol. 2018;25(3):512-518.
  5. Together in SMA. Signs & symptoms. Abrufbar unter https://www.togetherinsma.com/en_us/home/introduction-to-sma/sma-symptoms.html (letzter Zugriff: April 2021)
  6. Cure SMA. Newborn Screening for SMA. Abrufbar unter https://www.curesma.org/newborn-screening-for-sma/. (letzter Zugriff: April 2021)
  7. Muscular Dystrophy Association. Types of Spinal Muscular Atrophy. Abrufbar unter https://www.mda.org/disease/spinal-muscular-atrophy/types. (letzter Zugriff: April 2021)
  8. Gemeinsamer Bundesausschuss. G-BA erweitert Früherkennungsuntersuchung bei Neugeborenen auf spinale Muskelatrophie. Abrufbar unter https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/919/. (letzter Zugriff: Juni 2021)
  9. Doc Check: Neugeborenen-Screening: Zwei Neue im Team. Abrufbar unter https://www.doccheck.com/de/detail/articles/32627-neugeborenen-screening-zwei-neue-im-team. (letzter Zugriff: Juni 2021)

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